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Mit Mary und Sandy zurück nach Europa

Posted by on 4. November 2012

Nach 18 Monaten auf Reisen, in denen wir versucht haben am Boden zu bleiben, erschien ein Flug nach Europa nicht der angemessene Weg nach Hause. Von Nordamerika aus allerdings sind die Alternativen rar, und neben den Fluglinien ist die einzige regelmäßige Verbindung zwischen den Kontinenten der Transatlantikliner ‚Queen Mary 2‘ der englischen Traditionsreederei Cunard. Mindestens einmal im Monat verkehrt deren Flaggschiff von Southampton nach New York und wieder zurück. Sicherlich nicht mit dem Budget eines Rucksackreisenden zu vereinbaren, war meine Vermutung als ich auf einem Blog von kanadischen Reisenden davon gelesen hatte. Tatsächlich verkaufen einige amerikanische Internetseiten die Bootstickets schon ab US$ 700, also nur unwesentlich teurer als Flugtickets. Für Leute mit einem Sinn für Schnäppchen also durchaus erschwinglich, insbesondere wenn man bedenkt, dass neben dem Transport sieben Nächte Vollpension in einem Luxushotel dabei sind. Die letzte große Etappe unserer Reise buchten wir also an Bord des berühmten Transatlantikliners. Als wir unseren Freunden Sylvia und Steve in Boston davon erzählten, waren die so begeistert, dass sie Tickets für die gleiche Atlantiküberquerung buchten und wir sogar am gleichen Tisch Abendessen konnten.

Während unserer Reise durch Kanada und nur wenige Tage vor dem geplanten Einschiffen in New York hören wir von einem Sturm namens Sandy in der Karibik. Normalerweise ist die Hurrikansaison um diese Jahreszeit schon vorbei, aber nach zahlreichen Todesopfern auf Kuba und den Bahamas bewegt der Wirbelsturm sich bedrohlich schnell auf die Ostküste der USA zu. Bei unserer Ankunft in New York City einen Tag vor Abfahrt der Queen Mary 2 sind bereits Anzeichen von Endzeitstimmung: Sandy ist trotz der Präsidentschaftswahl das Topthema der Leute in Manhattan, die U-Bahnen kündigen auf Zetteln eine mehrtägige vollständige Schließung an und die Supermärkte sind voller Menschen, die Proviant für den Notfall kaufen wollen. Am Sonntag Morgen sehen wir die Queen Mary 2 am Pier in Brooklyn liegen, aber die Fähre, die uns von Wall Street über der East River bringen soll, hat ihren Betrieb wegen des nahenden Sturms bereits eingestellt und wir müssen auf Bahn und Bus umsteigen. Am Cruise Terminal in Red Hook, Brooklyn, werden alle Passagiere professionell aber vielleicht ein wenig hektischer als sonst eingecheckt und gegen 16:30 verlässt das gigantische Schiff als letztes den Hafen von New York, bevor dieser um 18:00 von den Behörden bis auf weiteres geschlossen wird.

Passagiere betreten die Queen Mary 2 auf Deck 3 zwischen dem Juwelier, dem Souvenirshop und der ‚Grand Lobby‘, die sich über fünf der insgesamt 14 Hauptdecks erstreckt. Vorbei an der Champagnerbar und dem ‚Royal Court Theatre‘ gehen wir zum verspiegelten Aufzug, der uns in die sechste Etage bringt, wo wir dem endlos langen Gang bis zu unserer Kabine folgen. Für ein wenig Aufpreis haben wir uns eine Kabine mit Außenfenster geleistet und beim ersten Blick aus unserem Zimmer sehen wir direkt die Freiheitsstatue. Wenig später verfolgen wir voller Begeisterung das Auslaufen von Deck aus: die Skyline von Manhattan und Newark, die zahlreichen Inseln im Hafen und natürlich Lady Liberty. Die Liveband ist wegen des Wetters allerdings nach drinnen verlegt und als wir unter der Verrazano Narrows-Brücke hindurch in den offenen Atlantik fahren wissen wir warum.

Der Kapitän hat früher als geplant ablegen lassen, um möglichst viel Vorsprung vor dem Hurrikan zu haben. Wir steuern nach dem Verlassen des Hafens gleich in Richtung Nordost an der Küste entlang um den aus Süden kommenden Sturm möglichst weit zu umfahren. Der Wind erreicht in den folgenden Stunden 11 Beaufort und die Wellen sind mit über sieben Metern ungefähr zwei Stockwerke oder viermal so hoch wie ich selbst. Als Sandy am Montagabend die Ostküste erreicht, in Manhattan die Lichter ausgehen, Tunnel überflutet und ganze Landstriche verwüstet werden, kämpft sich das schwankende Schiff wacker durch die Wellen vor der kanadischen Ostküste. Beim Bau des Atlantikliners Mary wurde bis zu 40% mehr Stahl verwendet als bei vergleichbar dimensionierten Kreuzfahrtschiffen und auch die Konstruktion und Verarbeitung des Schiffes ist auf den stürmischen Atlantik ausgelegt. Der Kapitän wird nicht müde, in seinen Ansprachen und Durchsagen zu betonen, dass die Queen Mary gebaut wurde um jeglicher Wetterlage zu trotzen. Zwar erinnert die Rhetorik manchmal an die „unsinkbare Titanic“, aber bis auf ein flaues Gefühl im Magen vom heftigen Seegang ist die Stimmung an Bord super.

Die Tage vergehen wie im Flug, ohne dass wir viel Zeit zum Lesen oder Sortieren unserer Fotos finden. Anders als bei einem Flug allerdings gibt es kein Jetlag, denn die Uhr wird mittags jeweils eine Stunde vorgestellt und man gewöhnt sich ganz langsam an die europäische Zeit. Rund vier Stunden pro Tag verbringen wir mit den Köstlichkeiten der diversen Restaurants – morgens Frühstück im Bett oder Eggs Benedict mit Blick auf den Ozean, später Räucherlachs, Ente mit Orangenconfit oder Sushi zum Mittagessen im ‚King’s Court‘, dem einzigen Selbstbedienungsrestaurant an Bord, und die sterneverdächtigen 4-Gang-Menüs im Britannia Restaurant am Abend mit Sylvia und Steve. Unterhaltung wird in den Theatern, Kinos, dem Planetarium, Café, Ballsaal, der Disko oder dem Casino geboten, wo wir oft zu viert hingehen. Vorträge, Poesie, Kurse und Pubquiz sorgen für geistige Fitness, Schwimmbad und Fitnessstudio für körperliche Aktivitäten. Manchmal gehen wir auch joggen auf Deck 7, mit 360 Grad Meerblick. Oder wir sitzen im Whirlpool auf einem der Außendecks, von wo aus wir sogar einmal einen Wal beobachtet haben! Die Tage auf See vergehen wie im Flug, und nicht selten stellen wir erschreckt fest, dass es schon wieder Zeit für die allabendliche Dinner-Orgie ist (man kommt grade erst vom Mittagessen, soll aber schon wieder gegrillten Hummer essen). Zum Glück haben meine Eltern uns Abendkleid und Smoking mitgebracht, denn in guter englischer Tradition hat jeder Abend einen ‚dress code‘, der dreimal ‚formal‘ also lange Kleider für die Frauen und Tuxedos mit Fliegen für die Männer vorsieht. An den legereren Abenden tut es auch ein Cocktailkleid und ein normaler Anzug. Nicht nur absolutes Kontrastprogramm zum ‚Backpacken‘, sondern auch viel abwechslungsreicher als wir erwartet haben, auch wenn das Durchschnittsalter der anderen Gäste eher um die 60 liegt.

Als wir am 6. Tag auf Backbordseite am Horizont einen kleinen Streifen Land mit einer dicken schwarzen Regenwolke darüber erspähen, wissen wir sofort, dass England nicht mehr weit sein kann. In den verbleibenden 15 Stunden navigiert die Queen Mary 2 an Englands Südküste entlang, um die Isle of Wight herum und schließlich in den Hafen von Southampton, wo wir um 8 Uhr morgens im strömenden Regen europäisches Festland betreten. Abendgarderobe wieder im Rucksack verstaut, Stilettos wieder gegen Turnschuhe getauscht. Ich bin mir sicher niemand konnte den Luxus der Queen Mary 2 so sehr wertschätzen wie wir als sparsame Weltreisende und wahrscheinlich war auch niemand anders so sentimental über die Ankunft in Europa.

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