Hongkong stand ohnehin auf unserem Reiseplan, aber es passte jetzt noch besser als gedacht in unsere Reiseroute, da unser China-Visum fast abgelaufen war. Obwohl die ehemalige britische Kronkolonie seit 1997 wieder offiziell zu China gehört, bleibt Hongkong weiterhin eine ‘Sonderverwaltungszone’, und man muss eine Grenze passieren um hierher zu gelangen. Also planten wir hier neben Sightseeing auch uns ein neues Visum zu besorgen und danach wieder nach China einzureisen, um unseren Weg durch dieses riesige Land noch etwas fortzusetzen – es gibt hier noch zuviele Dinge, die wir sehen wollen, bevor wir weiterziehen.
Auf dem Weg von Russland in die Mongolei hatten wir im Zug ein nettes Mädel in unserem Alter namens Season (oder kurz Sisi) kennengelernt. Sie war 17 Monate alleine durch die Welt gereist, und war auf dem Rückweg in ihre Heimat Hong-Kong. Wir hatten E-Mail-Adressen ausgetauscht, und sie hatte uns zu sich eingeladen. Und so kam es, dass uns ein bekanntes Gesicht nach Mitternacht am Ausgang der U-Bahnstation Taikoo erwartete, als wir nach 36 Stunden Zugfahrt von Lijiang völlig kaputt auf Hong Kong Island ankamen. Wir wohnten für eine ganze Woche bei Sisi, und fühlten uns wie zuhause. Sisis Rucksack, mit dem sie um die Welt gereist war, stand immer noch neben der Tür – damit sie jederzeit wieder losziehen könnte, wie sie uns mitteilte. Es war ein Privileg und Glücksfall, Hongkong mit einer Einheimischen erkunden zu koennen. Sisi kannte die besten und günstigsten Restaurants, die billigsten Eletronikläden, die schönsten kostenlosen Aussichtspunkte. Sie begleitete uns auf Ausflüge, fungierte als Dolmetscherin und recherchierte stundenlang Zugverbindungen auf chinesischen Webseiten für uns. Mit ihr probierten wir uns durch Hongkonger Spezialitäten, von frittierten Fischbällchen bis zu Tapiocaperlen mit Mango und Kokosmilch (Marios neues Lieblingsessen). Ausserdem bekamen wir durch sie unglaublich viel über die Menschen und die Mentalität in Hongkong mit. Kurzum: Sie war eine unglaublich tolle Gastgeberin, und wir hoffen uns irgendwann einmal bei ihr revanchieren zu können, wenn sie mal wieder auf Reisen geht.
Bevor wir hierher kamen, stellte ich mir unter Hongkong vor allem eine riesige Metropole vor. Dass die Stadt neben unglaublich vielen Hochhäusern aber auch viel Natur zu bieten hat, überraschte mich sehr. Mit 262 Inseln ist Hongkong ein Archipel, und die wuchernde tropische Vegetation lässt einen fast vergessen, dass man in einem der dichtbesiedeltsten Gebiete der Welt ist. Wandert man auf einen der Berge, die gleich hinter den Wolkenkratzern in den Himmel ragen, so steht man zwischen Bananenstauden und indischen Kautschukbäumen, und blickt gleichzeitig auf eines der faszinierenden Stadtpanoramen, das wir je gesehen haben. Der Blick auf den Victoria Harbour bei Nacht ist schon alleine eine Reise wert. Bemerkenswert war, dass man wirklich nur wenige Meter von den Haupt-Touristenorten weggehen musste, um völlig alleine zu sein. Vom Victoria Peak (dem extrem touristischen Aussichtspunkt) unternahmen wir eine Wanderung entlang der Lugard Road und dann auf den Berg High West – die Route hatten wir auf einer tollen Internetseite gefunden (nur zu empfehlen für Wandern in Hongkong: www.oasistrek.com). Der Ausblick von hier oben war gigantisch, ein 360Grad Rundblick auf die Stadt, das Meer und die umliegenden Inseln, und es war NIEMAND anders hier. Der Weg, den wir hinunter nehmen wollten, war offiziell gesperrt. Nach kurzem Überlegen wanderten wir trotzdem hier entlang, und wurden nochmals mit wahnsinnig tollen Ausblicken belohnt. Dass wir uns dafür hin und wieder durchs tropische Dickicht kämpfen mussten, machte die Sache nur noch witziger.
Toll war auch ein Tagestrip zusammen mit Sisi nach Lantau Island. Der sitzende Buddha auf einem Bergipfel war sehr beeindruckend, danach bummelten wir durch das Fischerdorf Tai O und hielten uns die Nase zu, weil hier alles nach getrocknetem Fisch stank. Sogar Haifischflossen und jede Menge getrockneter Schwimmblasen, die wohl einen besonderen Wert in der traditionellen chinesischen Medizin haben, wurden hier teuer verkauft. Nach einem Abstecher am Strand und Bad im Pazifik nahmen wir die Fähre zurück nach Hong Kong Island, und legten im beleuchten Victora Harbour an – atemberaubend schön.
Neben der Kombination von Stadt und Natur gefiel uns Hongkong aber auch deswegen so gut, weil es in gewisser Weise Asien mit einer Prise Europa ist. Nach vier Wochen China, dass doch manchmal etwas anstrengend sein kann, war die Woche hier eine kleine Oase. Die meisten Leute sprechen Englisch, alles ist sauber, keiner schreit, spuckt oder drängelt. Der englische Einfluss ist noch mehr als deutlich zu spüren, nicht nur dadurch, dass die Autos auf der linken Seite fahren. Nachdem wir nach einer Woche mit unserem neu beantragten zweiten Visum wieder nach ‘Mainland China’ eingereist waren und uns der Busfahrer mit Megaphon ins Ohr brüllte, wussten wir: Wir sind wieder bei den richtigen Chinesen. Ach ja, und der chinesische Zoll hat uns an der Grenze rausgezogen und unsere Provianttüte durchsucht – und meine geliebten Drachenfrüchte allesamt beschlagnahmt. Die werden jetzt ‘entsprechend den gesetzlichen Vorschriften’ entsorgt, damit sie auch ja keinen weiteren Schaden anrichten können.
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