Der Jogye-Orden, der als größter Orden den koreanischen Zen-Buddhismus repräsentiert, hat vor einigen Jahren sog. Templestay-Programme ins Leben gerufen, und damit die sonst verschlossenen Tore einiger buddhistischer Klöster geöffnet. Uns für zwei Tage unter Mönche zu mischen und zu sehen was hinter den Tempelmauern so vor sich geht, erschien uns eine erleuchtende Erfahrung, und so machten wir uns auf zum Tempel Baekdamsa. Idyllisch und abgeschieden im Seoraksan-Nationalpark gelegen, war der Tempel eine Oase der Ruhe. Wir wurden freundlich empfangen und nach einer kurzen Einführung in unsere Gemächer gebracht – getrennte Schlafsäle für Frauen und Männer, mit traditionellen Yo-Matten auf dem beheizten Fussboden. Außer uns waren nur einige Koreaner zu Gast im Tempel, und von den Frauen in meinem Schlafsaal sprach fast niemand Englisch, so war es ein Leichtes keine lauten Unterhaltungen zu führen und sich mehr auf ‚Selbstreflektion‘ zu konzentrieren. Die Ruhe im Tempel wurde durch nichts gestört, außer durch eine Horde Wildschweine, die in der Dämmerung ihren Weg aus dem Nationalpark zur Klosterküche fanden. Da man im Buddhismus jedem Lebewesen mit dem selben Respekt begegnen soll, wurden die Wildschweine von den Mönchen mit hilflosen Armbewegungen äußerst ineffektiv verjagt. Und wir mussten uns den Weg zum Speisesaal mit einem Regenschirm freikämpfen – so ein Wildschwein kann ganz schön angsteinflößend sein…
Zum Essen wurde man zu festen Zeiten mit einer Holzglocke gerufen. Man bediente sich schweigend am vegetarischen ‚Buffet‘, und wir waren angehalten nur so viel zu nehmen wie man auch essen konnte. Ein Grundsatz buddhistischer Mönche ist es, kein Essen (nicht ein Reiskorn) zu verschwenden, aus Achtung vor der Natur und der Arbeit all der Menschen, die es bedurfte das Essen auf den Tisch zu bringen. Für uns als Schwaben, die es gewohnt sind den Teller leerzuessen, eine unserer leichtesten buddhistischen Übungen (auch wenn es etwas schwieriger ist wenn man sich lauter Sachen schöpft die man nicht kennt). Manchen Tischnachbarn schien das Konzept ‚Teller leer essen‘ sichtlich etwas neuer. Nach dem Essen spülte jeder sein eigenes Geschirr.
Die Holzglocke, mit der einer der Mönche die Mahlzeiten ankündigt, gibt auch sonst den Takt im Kloster an. So erklangen ihre hölzernen Schläge morgens um drei als Wecker. Dann hieß es aufstehen und sich zum Yabul, dem Morgengebet vor Sonnenaufgang, im Haupttempel zu versammeln. Hunderte Miniaturbuddhas mit kleinen Lämpchen zauberten der riesigen goldenen Buddhastatue in der Mitte einen magischen Schein ins Gesicht, und über unseren Köpfen schwebten dicht an dicht Lotuslaternen aus Papier, an denen unten Zettelchen mit Gebeten und Wünschen von Gläubigen baumelten. Die Schuhe wurden wie fast überall in Korea vor Betreten des Gebäudes ausgezogen, und jeder setzte sich auf eine Gebetsmatte auf den Holzfussboden – aber erst nachdem man sich dreimal vor Buddha verbeugt hatte. Der Vorbeter-Mönch stimmte dann die Gesänge an, und bestimmte mit dem Schlägen auf die Holzglocke den Rhythmus. Wir ahmten einfach die anderen nach – wann sie sich im Fluss der Sprechgesänge verbeugten, hinsetzten, wieder aufstanden. Der meditative Charakter dieser frühmorgendlichen Zeremonie war auch über die sprachlichen Barrieren hinweg zu spüren. Verbeugung heißt übrigens sich auf die Matte zu knien, dann mit der Stirn den Boden zu berühren, dabei die Handflächen neben dem Kopf zum Himmel heben, dann wieder aufstehen. Während des Singsangs ist es ein stetiges Aufstehen und Hinknien, und zwischendurch kommt man sich eher vor wie in der Turnhalle als im Tempel. Und nachdem man sich schon unzählige Male erhoben und wieder neu verbeugt hat und so langsam ins Schwitzen kommt, legen die Mönche erst so richtig los: die klassischen 108 Verbeugungen vor dem Buddha. Man muss anmerken, dass wir uns am Abend zuvor bereits der gleichen Prozedur unterzogen haben, und innerhalb einiger Stunden mehrere Hundert solcher Verbeugungen zu vollführen war eine echte Herausforderung.
Am Schluss drehten wir uns alle sitzend zu den weit geöffneten Tempeltüren hin, mit Blick auf das Kloster, dessen Konturen im Morgengrauen ganz langsam sichtbar wurden (inzwischen war es ca 5 Uhr). Es folgte eine Meditation und anschließend eine Art Dehnübungen und sogar ein Teil in dem man sich paarweise die Schulterpartie knetete und die Hände massierte. ‚Mens sana in corpore sano‘ (ein gesunder Geist in einem gesunden Körper) scheint hier der Kerngedanke – für mich eine echte Überraschung, dass im Tempel nicht nur gebetet sondern auch Gymnastik betrieben wird.
Wir sind in diesen zwei Tagen im Baekdamsa Tempel nicht zu Experten für Buddhismus geworden. Aber es waren interessante und teils unerwartete und amüsante Einblicke in das Leben buddhistischer Mönche in Korea. Und der Muskelkater erinnerte uns noch einige Tage später daran, wie anstrengend Buddhismus sein kann.