Zweifelsohne sieht der Teilzeit-Kulturreisende bei einem Besuch in Südostasien unzählige Tempel. Thailands Tempel sind meist verschnörkelt, golden, prunkvoll und bunt. Nach einem Monat bunter Tempel waren wir dann aber bisschen ausgetempelt – nicht zuletzt weil einem als nicht Buddhismus-Gelehrtem viele der Symbole, Bedeutungen und Hintergründe verborgen bleiben. Was man aber von Wat Rong Khun in Travelerkreisen gehört hat – moderner Tempel, interessanter Künstler, Superman und Star Wars-Figuren, George Bush und Bin Laden – hat uns aber überzeugt die temporäre thailändische ‚temple fatigue‘ zu überwinden. In Chiang Rai, Hauptstadt der nördlichsten Provinz Thailands, wollten wir also noch den „Weissen Tempel“ anschauen, bevor wir den Mekong Richtung Laos überquerten.
Eigentlich ist weiss für Thai eine Farbe der Trauer, deswegen sind die meisten Tempel außen bunt und innen golden. Der sehr religiöse, in Thailand berühmte Künstler Chalermchai Kositpipat allerdings sieht weiss als Symbol für die Reinheit des Buddhas. Der von ihm persönlich initiierte, geplante und anfangs auch privat finanzierte Tempel dreht sich ganz um die Reinheit der buddhistischen Lehre gegenüber den irdischen Übeltaten und Sünden. Und das bescheidene Ziel von Chalermchai ist es, einen Tempel von der touristischen Bedeutung Angkor Wats oder Taj Mahals zu erschaffen weshalb er zwei Klassen von ‚Schülern‘ unterrichtet, die in den nächsten 60 bis 90 Jahren den Übertempel in seinem Sinne fertigstellen sollen.
Was man momentan schon sieht ist ein fast fertiges und viele angefangene Gebäude. Das fast fertige ist der Ubosot, die Gebetshalle der Mönche. Ihr Eingang strotzt vor Symbolen, von denen einem manche aus der christlichen Lehre bekannt vorkommen: die Hölle mit leidenden Menschen die Hände ringend Erlösung suchen und der Eingang als eine Brücke in den Himmel wo die letzte Auseinandersetzung des Buddha mit dem Bösen (dem Dämonen Mara) bebildert wird. Die Wandmalereien der „bösen“ Seite der Halle sind absolut großartig – nicht nur verglichen mit anderen Bilder von Chalermchai, die manchmal aussehen wie eine schlechte Mischung aus überbunten thailändischen Tempelverzierungen und Sonnenuntergangs-Airbrush vom Jahrmarkt. Die Dämonendarstellung im Weissen Tempel sind größer, tiefgründiger und moderner. Das Gemälde, an dem einige der Schüler noch immer weiterpinseln, zeigt von Weitem ein durch Farbschattierungen reliefartig erscheinendes Dämonengesicht, in dessen Augäpfeln sich George Bush und Osama Bin Laden spiegeln, mit Totenkopf auf der Stirn, und das rechteckige Eingangstor als Teil des Mundes – die Besucher sollen alles Böse beim Austreten aus dem Tempel hinter sich lassen. Von Nahem betrachtet findet sich um die Dämonenfratze alles, was in der modernen Unterhaltungs- und Nachrichtenwelt Rang und Namen hat: von Angry Birds und Avatar über alle möglichen Bomben, Raketen und Science Fiction bis hin zum brennenden World Trade Center. „These weapons and the demon’s armies represent the unwholesome thoughts of humans“ sagt der Künstler. Der Buddha (an der gegenüberliegenden Wand) überkommt dann natürlich all die irdischen Leiden und erreicht den inneren Frieden.
Wat Rong Khon ist ein sehr unterhaltsamer neuer Aspekt thailändischer Tempelkunst und vielleicht ja wirklich einer der in Zukunft noch von sich hören machen wird. Große Ziele von irdischem Ruhm hat jedenfalls auch Chalermchai, der noch gehänselt wurde, als er sich an der Uni für Thai statt Internationale Kunst einschrieb: „I did not care because I had already set my mind to make Thai arts famous, and to become a great contemporary Thai artist that the world admires.“
Sein Tempel jedenfalls ist jetzt schon ungewöhnlich thailändisch und irgendwie bewundernswert. Das war aber wirklich erstmal unser letzter Tempel – auf laotischer Seite geht’s dann weiter.