browser icon
You are using an insecure version of your web browser. Please update your browser!
Using an outdated browser makes your computer unsafe. For a safer, faster, more enjoyable user experience, please update your browser today or try a newer browser.

Das Geld zum Fenster rausgeworfen

Posted by on 3. Juli 2012

Es gäbe noch viel zu erzählen über Äthiopien. Aber eine Institution, die die Gesellschaft in diesem Land extrem prägt, ist die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche. Dabei gehören ihr ’nur‘ ca. 44% der Äthiopier an, das sind in etwa 32 Millionen Menschen, der Rest sind hauptsächlich Prostestanten und Muslime. Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche ist eine der wenigen christlichen Kirchen in Subsahara-Afrika, die schon lange vor der Kolonialzeit existierte: Der Übertritt der axumitischen Herrscher zum Christentum ist durch Münzfunde auf das 4. Jahrhundert datiert. Bis 1959 gehörte sie zur Koptischen Kirche, nun steht der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche aber ein eigener Patriarch vor.

Wie ihr Name vermuten lässt, ist die Kirche recht konservativ. Die üblicherweise runden Kirchen haben ein inneres Sanktum, zu dem nur der Priester Zugang hat. Frauen dürfen während ihrer Periode die Kirche nicht betreten und müssen während dem Gottesdienst ihren Kopf bedecken. Für die Gläubigen gibt mit über 200 Fastentagen mehr besondere als normale Tage im Jahr; nicht nur jeden Freitag, sondern auch vor Ostern, Pfingsten, Himmelfahrt und Weinhnachten wird ausschliesslich vegetarisch gegessen. Interessanterweise behält die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche die ansonsten tote Sprache Ge’ez, oder Alt-Äthiopisch, als Kirchensprache bei, und die Gottesdienste finden auch heute noch in dieser Sprache statt. Lediglich die Predigt wird auf Amharisch, der offiziellen Amtssprache Äthiopiens, gehalten. Als Luther Äthiopiens könnte man vielleicht König Haille Selassie bezeichnen, der die Heilige Schrift erstmals vor in den 40er Jahren von Ge’ez ins Amharische übersetzen ließ und sie so einem breiteren Teil der Gesellschaft zugänglich machte.

Neben den Menschenmassen, die sich nicht nur Sonntags außen vor Kirchen drängten, fielen uns immer wieder kleine Dinge im Reisealltag auf, die die extreme Religiösität vieler äthiopischer Christen verrieten. Egal mit welchem Verkehrsmittel man unterwegs war, bekreuzigten sich die Mitfahrer jedesmal, wenn man an einer Kirche vorbeifuhr. Immer wieder trafen wir auf Leute mit Tätowierungen: Koptische Kreuze auf den Unterarmen, nicht selten sogar auf der Stirn. Die seltsamste Begebenheit erlebten wir aber gleich zweimal auf verschiedenen Überland-Busfahrten. Die Straßen durchs äthiopische Hochland sind kurvig und steil, und an manchen der Pässe stehen alte Klöster. Kurz bevor man den Pass erreichte kursierte plötzlich eine Plastiktüte im Bus, und alle unserer Mitfahrer suchten hektisch in ihren Taschen nach Geldscheinen, und die Plastiktüte wurde schnell voller und voller. Ich muss dabei betonen, dass die Leute im öffentlichen Bus nicht die reichsten waren, im Gegenteil, viele waren barfuß und in Kleider gehüllt, die in Europa wohl eher als Putzlappen zählen würden. Und doch beteiligte sich fast jeder an dieser spontanen Sammelaktion. Die Ärmsten kramten nur ein paar Birr als Münzen hervor, aber fast jeder gab etwas. Die Tüte wurde alsbald nach vorne zum Busfahrer gereicht, der sie dann – uns blieb der Mund offen stehen – zum Fenster hinauswarf. In voller Fahrt. Es ist anzunehmen, dass die Mönche, die im Kloster leben, regelmäßig die Straße patroullieren und die Plastiktüten mit den Spenden einsammeln. Man erhofft sich wohl auf diese Weise eine sichere Fahrt zu erkaufen – so eine Art moderner Ablasshandel. Wenn man davor stundenlang an verarmten Dörfern vorbeigefahren ist, in denen barfüßige Bauern mit ihren knochigen Ochsen und selbstgezimmerten Holzpflügen steinige Äcker bearbeiten, und sich überlegt, dass die letzten hundert Gefährte auf der Straße nur aus Eselkarren bestanden, dann ist es doch recht schwer zu verstehen, dass man hier das Geld nicht nur sprichwörtlich zum Fenster rauswirft.

Flattr this!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert