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Hauptquartier der Bürokratie – eine indische Komödie

Posted by on 28. April 2012

Deutschland ist bürokratisch, England gleich dreimal. Indien? Hat wohl das kolonialistische Erbe der Engländer weiterentwickelt und spielt was Bürokratie angeht in einer eigenen Liga. Die Ironie dabei ist, dass das Land insgesamt total chaotisch ist – und trotzdem jede Transaktion mit Durchschlag in dreifacher Ausfertigung quittiert wird. Ob hier versucht wird das allgemeine Chaoslevel zu reduzieren oder vielleicht eher zu kompensieren bleibt fraglich. Hier ist eine von vielen Anekdoten aus dem Hauptquartier der Bürokratie.

Erstmal zu den Hauptakteuren in diesem Theater: Sekretäre, Offiziere, Büroangestellte, Polizisten, Hotelmanager. Ihnen allen ist gemeinsam, dass ihnen langweilig ist. Wenn man die heiligen Hallen ihres Wirkens betritt, die sich normalerweise als runtergekommene spärlich möblierte Büros darstellen, schauen sie, die Bürokraten der Nation, normalerweise fern, wenn sie Internet haben surfen sie auf facebook, oder sie kauen Tabak und meditieren den Lauf der Dinge. Es ist uns aber auch schon passiert (so geschehen im ‚Office of the District Magistrate‘ in Darjeeling), dass die vier Angestellten alle gebannt und irgendwie geistesabwesend in eine Richtung starrten. Zuerst vermutete ich einen Fernseher, aber als ich um die Ecke schaute, hing an der Wand eine große Uhr. Unglaublich aber wahr, schienen die engagierten Arbeiter auf die Uhr zu starren, bis es Zeit für die nächste Pause war. Die einzige alternative Erklärung wäre, dass sie auf dem unter der Uhr hängenden Kalender die Tage bis zum nächsten Feiertag zählten. Irgendwann gelang es uns die Aufmerksamkeit einer Dame zu gewinnen. Lustlos nahm sie die Formulare entgegen, die wir zuvor in einem anderen Büro am anderen Ende der Stadt ausgefüllt hatten, und reichte sie erstmal an einen ihrer ähnlich hoch motivierten Kollegen weiter. Der macht einen Stempel drauf, und reicht die Papiere ebenfalls weiter. Klar, es muss ja Jobs für 1,2 Milliarden Inder geben. Die gefühlte Hälfte von ihnen arbeitet als Formular-Weiterreicher.

Dann war es Zeit für den Auftritt der Statisten: Formulare, noch mehr Formulare, manche davon im A3-Format und größer, Anhänge zu Formular 14c, Durchschläge, aber erst nachdem man das zerknitterte Pauspapier in der Schublade gefunden hat, Passfotos und Kopien von allem was in den Kopierer passt. Und dann kommt das grosse dicke Buch ins Spiel. Jedes anständige Büro, Hotel und jeder Polizeiposten hat eines. Jetzt ist der wichtige Zeitpunkt gekommen, an dem die Daten aus tausend und einem Formular feinsäuberlich ins große Buch übertragen werden. Analoge Buchhaltung wird in Indien noch groß geschrieben. Macht ja auch einfach Sinn.
Während alles abgeschrieben wird und sich die Inder zum dritten Mal die Telefonnummer meiner Eltern notieren, lassen wir unseren Blick über die Bühne dieser Komödie schweifen. Die Schreibtische sind ohne Übertreibung meterhoch mit Akten zugestapelt. Sortiert und zusammengehalten werden die Stapel mit dem bewährten Bindfadenprinzip. Die Akten sehen aus wie Pakete für die Altpapiersammlung. Und während wir uns leise über die (Un)ordnung amüsieren, steht einer der Angestellten auf, versucht einen Blechschrank aufzumachen, vermutlich auf der Suche nach dem dritten Durchschlag des Formulars 27a ‚Report on the arrival of a foreigner‘. Als sich die Schranktür schließlich mit einem Ruck öffnet, kommen die Aktenstapel auf seinem Schreibtisch durch die Erschütterung ins Rutschen. Wie in Zeitlupe fällt der ganze Berg auf den Boden. Damit hatte der Bindfaden nicht gerechnet – die meisten Stapel sind jetzt vielmehr einzelne Blätter. Mario und ich müssen uns wegdrehen, wir lachen Tränen so komisch ist die Situation. Selbst unserem Sachbearbeiter, der fast fertig ist das Austelldatum unseres Visums ins Buch zu übertragen, huscht ein Lächeln übers Gesicht. Schön zu sehen, dass auch die Bürokraten selbst ihre eigene Komödie von Zeit zu Zeit noch witzig finden.

Danke, liebe Inder, dass ihr mit euren A3-Bögen immer wieder ein belustigtes Lächeln auf unsere Gesichter zaubert. Auch wenn wir manchmal dem Wahnsinn ganz nahe sind.

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