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Über lebende Brücken

Posted by on 9. Mai 2012

Manchmal staune ich, auf was für Ideen Menschen so kommen. Ein außergewöhnliches Beispiel menschlicher Kreativität bot sich uns in der Nähe von Cherrapunjee. Die kleine Stadt, die unter den Einheimischen als Sohra bekannt ist (ihr ursprünglicher Name vor Kolonialzeiten) liegt in Meghalaya. Das ist einer von sieben kleinen Bundesstaaten im indischen Nordosten, dem Landesteil zwischen Myanmar, Bhutan, Bangladesh und China, der nur durch einen schmalen Korridor mit dem Rest von Indien verbunden ist. Also nicht gerade der zentralste Ort auf dem Touristenhighway – dementsprechend ruhig war es dort, außer ein paar indischen Urlaubern niemand vom Stamm der Backpacker zu sehen. Für uns lag es aber genau auf dem Weg: unsere Reiseroute geht ganz einfach da lang, wo es schön und besonders ist.

Die Region, in der Cherrapunjee liegt, heisst Khasi Hills, benannt nach dem dort lebenden Volk der Khasi. Besonders die Frauen hier tragen fast ohne Ausnahme ihr traditionelles Gewand: die oberste Lage ist immer eine kleinkarierte Stoffbahn, die nur an der Schulter zusammengehalten wird und sonst lose über den Körper fällt. Außerdem kauen die Khasi leidenschaftlich Betelnuss, und sind daher meist mit rotgefärbten Lippen und Zähnen anzutreffen. Ich weiss wir erzählen nicht das erste Mal von freundlichen Menschen, die wir treffen, aber die Khasis waren wirklich eine Klasse für sich. Noch selten haben wir so viele Leute getroffen, von denen sich einfach jeder freundlich für uns interessierte, ohne Hintergedanken und Profitgier, wie sie so oft in Indiens Touristenregionen anzutreffen ist. Mit strahlendem Lächeln hielten uns die Menschen überall an, sei es mitten auf dem traditionellen Wochenmarkt oder irgendwo im Dschungel beim Wandern, und stellten in brüchigem Englisch die immer gleichen Fragen: Your country, sir? Your name, madam? Where are you going? So geduldig wie möglich stillten wir die Neugier der gefühlten gesamten Khasi-Bevölkerung. Mit einigen, die etwas mehr Englisch konnten, kamen wir auch näher ins Gespräch. Immer wieder tolle Begegnungen. Wäre es nicht für die Naturattraktionen, so könnte man diese Region schon allein der Menschen wegen als Reiseziel empfehlen.

Ursprünglich sind wir in die Khasi Hills gekommen, um dort die sogenannten lebenden Wurzelbrücken zu sehen. Die ganze Gegend dort ist ein Labyrinth von extrem steilen Schluchten, bevor die Landschaft sich abrupt zur Ebene von Bangladesch absenkt. Die Khasi-Dörfer liegen auf den Plateaus oder kleben an den Hängen in den Canyons. Um vom einem Dorf ins andere zu kommen, müssen die Dorfbewohner die Täler durchqueren. Kein einfaches Unterfangen, da die Flüsse im alljährlich wiederkehrenden Monsun zu reißenden Fluten werden und extrem stabile Brückenkonstruktionen erfordern, wenn sie denn halten sollen. Dazu kommt, dass die Gegend weltweit die höchste Niederschlagsrate hat, und normale Holzbrücken in dem feuchtheißen Klima schnell verfaulen würden. Also haben die Khasi sich eine ungewöhnliche Methode einfallen lassen. Die Luftwurzeln der hier heimischen Gummibaumart, Ficus elastica, werden kreativ und clever über den Fluss dirigiert und verflochten, um schließlich über Jahre und Jahrzehnte eine Brücke aus lebenden Baumwurzeln zu bilden. Mit der Zeit werden die Wurzeln immer dicker und damit die Brücken immer stabiler, komplett mit Geländer und teils mit eingewachsenen Steinen, die Löcher verschließen. Wahre Kunstwerke, die einem ganz banalen praktischen Problem entsprungen sind, nämlich zu jeder Jahreszeit über den Fluss zu kommen. Die Khasi benutzen diese zum Teil bereits uralten Brücken immer noch täglich, und wir haben viele Stellen gesehen, an denen neue Brückenbau- oder besser Brückenwachstumsprojekte im Gange sind. Die Tradition der lebenden Brücken lebt also weiter. Es sieht so aus, als gibt es ihn hier noch, den vielbesagten Einklang von Mensch und Natur.

Ein Gebiet mit vielen solcher Brücken ist nach einem rund einstündigen steilen Abstieg durch tropischen Feuchtwald vom Dörfchen Tyrna aus zu erreichen. Die Wanderung fühlte sich an wie ein Spaziergang durch ein Tropenhaus, nicht nur wegen des Klimas, sondern auch wegen der enormen Vielfalt an tropischen Blumen, riesigen Schmetterlingen und sogar einem Chamäleon. Das i-Tüpfelchen an diesem Tag war dann noch ein erfrischendes Bad im kristallklaren Fluss samt Picknick, bevor wir wieder den verdammt steilen Rückweg aus dem Canyon antraten.

Unsere Home-Base in Cherrapunjee war eine kleine Lodge außerhalb der Stadt, mitten auf der grünen Wiese und am Abgrund des Canyons gelegen. Der junge Manager Majaw hatte gerade erst alles fertig renoviert und kümmerte sich mit seinen drei jugendlichen Angestellten rührend um uns. Wir waren die einzigen Gäste (nicht dass die Lodge mit ihren drei Gästezimmern massenweise Gäste beherbergen könnte), und es wurde jeden Abend liebevoll für uns gekocht, und uns das Frühstück morgens ins Zimmer geliefert. Enthusiastisch erzählte Majaw uns immer wieder von einer riesigen Höhle, die es in der Umgebung geben soll. Ganz leicht zu finden war sie nicht, wir brauchten zwei Anläufe bis wir diesen Spielplatz der Einheimischen schließlich fanden. Aber was wir da vorfanden war der absolute Wahnisnn. Eine riesige Kalksteinhöhle, mit mehreren Etagen, die ewig weit in den Berg hineinragte. Die Einheimischen haben ein paar Bambusleitern gebaut, mit denen man von einem Level zum anderen klettern konnte, ein unterirdischer Fluss gluckerte durch die sich immer wieder verzweigenden Gänge, die das Wasser über Jahrtausende ausgespült hat. Und natürlich war alles stockdunkel, wir konnten uns also nur mit Taschenlampen vorwärtsbewegen. Unglaublich. Wir verbrachten mehr als eineinhalb Stunden in der Höhle, und liefen die ganze Zeit durch Gänge, wateten durch den Unterwasserfluss, duckten uns unter Stalaktiten hindurch oder krabbelten durch Engstellen. Ein Ende haben wir nicht gefunden, es wäre immer noch irgendwo weitergegangen. Keine Ahnung wie weit wir unter der Erde waren, man verliert in den engen gewundenen Gängen schnell sein Gefühl für Entfernungen. Die Khasi hatten immer wieder kleine Pfeile in die Wände geritzt, das half der Orientierung und ermutigte uns, immer weiter in die Tiefe der Höhle vorzudringen. Ein mulmiges Gefühl hat man dennoch manchmal im Bauch, und ich frage mich, wie ich mit meiner Klaustrophobie durch die Tunnel gekommen bin, in denen man zum Teil nur auf allen Vieren vorwärts kam. Ab und zu öffneten sich die engeren Gänge wieder in größere Räume, in denen Tropfsteine hingen. So etwas hab ich noch nie erlebt. Als wir irgendwann wieder raus ans Tageslicht kamen, fühlte es sich wirklich an als kommt man gerade von einem Ausflug in die Unterwelt zurück. Schon eine andere Nummer als beispielsweise die touristisch erschlossenen Höhlen in Halong Bay mit ihren markierten Wegen und bunten Beleuchtungen.

Der Bundesstaat Meghalaya wirbt in seiner Selbstvermarktungs-Kampagne mit dem Slogan ‚unexplored paradise‘. Das können wir so bestätigen. Wir hoffen die Region bewahrt ihr Paradies noch ganz lange.

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